Lipizzaner und Spanische Reitschule

Lipizzaner und Spanische Reitschule
Lipizzaner und Spanische Reitschule
 
Die Geschichte der Lipizzaner und der Spanischen Reitschule
 
1572 als Spanischer Reitsaal gegründet
 
Die Spanische Reitschule in Wien wurde 1572 als Spanischer Reitsaal gegründet. Sie ist seitdem die Pflegestätte der hohen Schule mit Lipizzanerhengsten. Erzherzog Karl II. brachte im Jahr 1580 neun Hengste und 24 Stuten, Abkömmlinge der spanischen Pferderasse der Andalusier, nach Lipizza (heute Lipica in Slowenien), das damals zur k. u. k. Monarchie gehörte, und gründete das Gestüt in Lipizza. Das Gestüt wurde dann in den napoleonischen Kriegen fast völlig zerstört, allerdings hatte man die 300 Pferde rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Schon im Jahr 1805 mussten die Pferde wieder fortgebracht werden, dieses Mal für zehn Jahre (bis 1815) nach Đakovo in Slawonien. Diese Zeit war für die Zucht von großem Nachteil, denn bei Rückkehr der Tiere stellte man aufgrund von Inzucht starke Degenerationserscheinungen fest. In der Folgezeit wurde aber wieder eine sorgfältige Zucht betrieben. Auch im Ersten Weltkrieg mussten die Tiere auf die Flucht gehen. Die wertvollen Zuchthengste kamen nach Laxenburg, ein Gestüt in der Nähe von Wien, die anderen Tiere ins böhmische Kladruby. Nach Ende des Ersten Weltkriegs kam Lipizza zu Italien, die Pferde des Gestüts wurden zwischen Italien und Österreich aufgeteilt. Die italienischen Pferde verblieben in Lipizza, die österreichischen kamen in das Gestüt Piber in der Weststeiermark. Auch im Zweiten Weltkrieg mussten die Pferde evakuiert werden, was die Vorlage für den Disney-Film »Wunder der weißen Hengste« lieferte. Die Tiere kamen über Hostau (tschechisch Hostoun) in der Tschechoslowakei nach Bayern. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrten die österreichischen Tiere nach Piber zurück. Derzeit befinden sich dort 52 Hengste und 56 Stuten. Eine Dependance von ungleich minderer Bedeutung befindet sich in Oberösterreich.
 
Bedeutende Vererberlinien
 
Alle Tiere des Gestüts lassen sich in ihrer Abstammung auf sechs bedeutende Hengste zurückführen. Der erste große Hengst, Pluto, wurde 1765 im dänischen Königsgestüt in Frederiksborg geboren. Er war ein original spanisches Pferd. Ihm folgte der Rappe Neapolitano Conversano, der gleichfalls spanischer Herkunft war. Im Jahr 1770 wurde im italienischen Poesina der Neapolitaner Neapolitano geboren. 1779 kam der Falbe Favory im Gestüt in Kladruby zur Welt. Der Araberschimmel Siglavy stammt aus dem Jahr 1810. Der sechste Hengst, auf den die Abstammung der Lipizzaner zurückgeführt wird, ist der 1819 geborene Neapolitaner-Hengst Maestoso. Alle Tiere des Gestüts erkennt man an ihrem Brandzeichen. Es ist ein »P« (für Piber), das mit der österreichischen Kaiserkrone den sechs Monate alten Fohlen auf die linke Kruppe gebrannt wird. Ferner erhalten sie ein »L« (für Lipizzaner) auf die linke Wange. Auf der rechten Sattellage wird die Zuchtnummer eingebrannt, und auf der linken zwei Buchstaben für die Hengst- und für die Stutenlinie. Dabei steht »C« für Conversano, »F« für Favory, »M« für Maestoso, »S« für Siglavy, »P« für Pluto und »N« für Neapolitano.
 
Lipizzaner sind kräftige Kompaktpferde, die gute Muskeln besitzen. Die Fohlen der Lipizzaner haben ein dunkles Fell. Die erwachsenen Tiere sind meistens Schimmel, es gibt aber auch Tiere in anderen Farben. Ihre Größe (Widerristhöhe) beträgt im Durchschnitt zwischen 150 und 155 cm. Der Kopf ist schön geformt, sie haben große Augen, enge Nüstern und ein leichtes Ramsnasenprofil. Die Lipizzaner besitzen eine füllige Mähne an einem gut aufgesetzten Hals. Sie haben flache Gelenke und schön geformte Hufe. Sie tragen einen mächtigen, hoch aufgesetzten Schweif aus dichtem, seidigen Haar.
 
 Die hohe Schule
 
Die in der Spanischen Reitschule gelehrte hohe Schule besteht aus zwei Bereichen, den »Schulen auf der Erde« und den »Schulen über der Erde«. Sie stellen eine dressurmäßige Ausbildung auf der Grundlage der klassischen Reitkunst, mit höchsten Anforderungen dar.
 
Die Schulen auf der Erde
 
Die Schulen auf der Erde bestehen aus Piaffe und Passage. Die Piaffe ist eine taktmäßige, erhabene Bewegung auf der Stelle. Dabei beugt sich das Pferd in den Hanken und hebt und senkt die diagonalen Beinpaare trabartig in getragener Kadenz. Die Piaffe ist die Grundübung für alle weiteren Lektionen der hohen Schule. Die Passage ist die höchste Versammlung und Vervollkommnung des Trabes. Die diagonalen Beinpaare federn dabei energisch vom Boden ab und halten dann in der Beugung länger aus. Das bewirkt eine ausgeprägte Schwebephase. Bei Passage wie bei Piaffe soll der Vorarm bis zur Waagerechten gehoben werden.
 
Schulen über der Erde
 
Die Schulen über der Erde bestanden bis zum 19. Jahrhundert nur aus der Pesade. Dabei stützt sich das Pferd auf seine tief gesetzte Hinterhand und erhebt die Vorhand so vom Boden, dass der Körper zum Boden einen Winkel von etwa 40º bildet. Seit dem 20. Jahrhundert wird ein geringes Erheben vom Boden als Levieren, das Verbleiben in dieser Stellung als Levade bezeichnet. Dabei soll der Körper des Pferdes zum Boden einen Winkel von etwa 30º bilden. Bei der Kurbette führt das Pferd mehrere Sprünge auf der Hinterhand aus, ohne dabei mit der Vorhand den Boden zu berühren. Der schwierigste Schulsprung ist die Kapriole. Erste Phase ist die Kruppade. Dabei schnellt sich das Pferd aus der Levade vom Boden ab, zieht die Beine unter dem Körper an und landet schließlich auf den Hinterbeinen. Die zweite Phase ist die Ballotade. Sie wird zunächst wie die Kruppade ausgeführt. Dabei sind die Hinterbeine zum Ausschlagen bereit und so angezogen, dass man die Hufeisen sehen kann. Das Pferd schlägt in dieser Lektion aber nicht aus. Die Krönung ist dann die Kapriole, die aus folgenden Phasen besteht: Abspringen aus der Levade zur Kruppade, dann erfolgt in dem Augenblick, in dem das Pferd mit seinem Körper waagerecht in der Luft schwebt, ein energisches Ausschlagen mit den Hinterbeinen, und schließlich landet es auf allen Vieren.
 
Die Figuren, die heute die Zuschauer der Spanischen Reitschule in Begeisterung versetzen, hatten ursprünglich einen sehr martialischen Zweck: Sie wurden auf dem Kriegsfeld eingesetzt, um so gegen die gegnerischen Fußtruppen vorgehen zu können. Aber auch als Prunk- und Paradepferde wurden die Lipizzaner genutzt. Die Tradition der Spanischen Reitschule lebt immer noch von der mündlichen Überlieferung: Von Bereiter zu Bereiter, von Generation zu Generation wird sie noch heute ausschließlich mündlich weitergegeben.
 
Selbstverständnis der Spanischen Reitschule
 
Das Selbstverständnis der Spanischen Reitschule verdeutlicht ein Zitat aus der Website, auf der sie sich im Internet vorstellt: »Die Reitkunst ist nicht der Besitz einer Nation, eines Volkes, ganz egal, wer auch immer die Tradition im Augenblick bewahren mag und wenn sie in unserer Zeit die Spanische Reitschule besonders pflegt, so sieht diese Institution darin nur eine Verpflichtung — der ganzen Welt gegenüber. Fragt man nach dem Sinn einer Einrichtung, wie sie die Schule heute darstellt, in der Zeit, wo der Mensch zum Mond fährt, so lautet die erste Antwort: Kunst; die zweite: Zucht — oder auch umgekehrt.«
 
 
Wolfgang Reuter: Lipizzaner u. Spanische Reitschule. Innsbruck 1983.
 Alois Podhajsky:Triumph der Lipizzaner. München 1985.
 Heinz Kiemann: Neue Reitschule. München 21993.
 Alois Podhajsky: Die klassische Reitkunst. Neuausgabe Stuttgart 1998.

Universal-Lexikon. 2012.

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